Briefing: Reform des Schengener Grenzkodex

Worum geht es?

Der Schengener Grenzkodex regelt die Einreisebedingungen und Grenzkontrollen an den EU-Außengrenzen und Binnengrenzen. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage, unter welchen Bedingungen Binnengrenzkontrollen möglich sind.

Der Grenzkodex ist ein wichtiges Instrument, um die Freizügigkeit in Europa zu gewährleisten; allerdings halten sich die Mitgliedstaaten oft nicht an den Kodex. Beispielsweise führen sie Kontrollen an den Binnengrenzen ein und missachten die Rechtsgrundlagen dafür. Diese Kontrollen gefährden den Schengen-Raum, indem sie den freien Personen-, Waren- und Dienstleistungsverkehr behindern, der für das Funktionieren der EU und ihrer assoziierten Länder (Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein) so wichtig ist. Besonders in Grenzregionen kosten die Kontrollen an den Binnengrenzen nicht nur viel Geld, sondern schränken das Leben der Menschen ein. Dabei führen sie oft nicht dazu, selbstgesteckte Ziele zu erreichen, beispielsweise weil sie Asylanträge gar nicht verhindern können, obwohl das immer wieder behauptet wird.

Die Reform

Die Europäische Kommission hat 2017 versucht, den Schengener Grenzkodex zu reformieren, aber die Mitgliedstaaten konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen.

Nachdem die Mitgliedstaaten während der Corona-Pandemie die Binnengrenzen ohne Koordinierung auf EU-Ebene geschlossen hatten, schlug die Kommission eine neue Reform vor, die unter anderem auch Bestimmungen für gesundheitliche Notfälle größeren Ausmaßes – wie eben Pandemien – enthält.
Der Kommissionsvorschlag vom Dezember 2021 war gelinde gesagt umstritten, gefolgt von einer noch problematischeren Verhandlungsposition der Mitgliedstaaten. Trotz der oft betonten großen Bedeutung des Schengen-Raums für die Verwirklichung der Freizügigkeit in der EU hätten diese Texte dazu geführt, dass Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen endlose Binnengrenzkontrollen einführen können. Das Europäische Parlament hingegen fand mit seiner Verhandlungsposition einen Kompromiss, der den Schengen-Raum schützt.

EuGH-Urteil zu Grenzkontrollen

Parallel zum Reformprozess des Schengener Grenzkodexes hat der Europäische Gerichtshof in einem Grundsatzurteil nicht nur die Dauer der Binnengrenzkontrollen nach dem aktuellen Kodex sehr streng ausgelegt, sondern auch klar festgestellt, dass endlose Binnengrenzkontrollen gegen die im EU-Recht verankerte Freizügigkeit verstoßen. Damit stand fest: Freizügigkeit ist ein Recht, dass die EU-Staaten nicht unbegrenzt einschränken dürfen. Die Mitgesetzgeber (Rat und Parlament) müssen also ein Gleichgewicht zwischen “Freiheit” und “Sicherheit” finden, das nur mit einer festgelegten Befristung der Binnengrenzkontrollen im reformierten Schengener Grenzkodex funktioniert.

Der finale Kompromiss

Die interinstitutionellen Verhandlungen führten zu einem Kompromiss, zu dem wir im Europäischen Parlament in der letzten Plenarwoche der Legislaturperiode (Ende April 2024) abstimmen werden.
Wir sehen das Verhandlungsergebnis kritisch, denn: Die maximale Dauer von Binnengrenzkontrollen wird von derzeit 6 Monaten auf 3 Jahre erhöht. Allerdings haben Mitgliedstaaten eine neue, detailliertere Berichtspflicht, wenn sie Binnengrenzkontrollen einführen. Die Kommission hat im Gegenzug etwas mehr Pflichten und Befugnisse, um die Anwendung zu kontrollieren. Ob das dazu führt, dass die Grenzkontrollen nun stärker beschränkt werden, wird von Expert*innen bezweifelt.

Es wird außerdem zusätzliche Gründe geben, die Binnengrenzkontrollen erlauben. Darunter fällt sinnvollerweise eine gesundheitliche Notlage in großem Umfang, allerdings auch der sehr umstrittene Grund der unerlaubten Sekundärmigration von Drittstaatsangehörigen in großem Umfang. Damit wird die seit 2015 herrschende Praxis, dass Mitgliedstaaten Binnengrenzkontrollen einführen, um “irreguläre” Migration “einzudämmen”, quasi legalisiert.

Das Verhandlungsergebnis beinhaltet außerdem ein neues Verfahren für die interne Überstellung von Drittstaatsangehörigen ohne Bleiberecht zwischen den Mitgliedstaaten. Dieses Verfahren wird wahrscheinlich dazu führen, dass vermehrt “Racial Profiling” und im schlimmsten Fall sogar Kettenabschiebungen stattfinden können.

Durch die Einführung des Begriffs “Instrumentalisierung” können Mitgliedstaaten die Zahl der Grenzübergangsstellen und deren Öffnungszeiten begrenzen sowie die Grenzüberwachung intensivieren, wenn sie sich von einer Instrumentalisierung betroffen fühlen. Welche Fälle genau als Instrumentalisierung gelten, ist aber überhaupt nicht festgelegt und damit der Willkür der Mitgliedstaaten überlassen. Zusätzlich wurden die Möglichkeiten für polizeiliche Kontrollen und die allgemein im Hoheitsgebiet eingesetzten Kontroll- und Überwachungstechnologien erweitert. Diese zusätzlichen Vorschriften treten unmittelbar nach der Veröffentlichung in Kraft, wenn Parlament und Rat zugestimmt haben.

In der Praxis bleibt aber trotzdem abzuwarten, ob die Mitgliedstaaten diese neuen Vorschriften auch tatsächlich einhalten werden und ob die Kommission ihre Befugnisse als Hüterin der Verträge wahrnehmen wird, um dafür zu sorgen, dass sie dies tun.

Syrien: Die aktuelle humanitäre Lage und mögliche EU-Maßnahmen

In Syrien herrscht seit 13 Jahren Krieg. Im Jahr 2011 wurde die syrische Revolution im Rahmen des Arabischen Frühlings von Diktator Bashar al-Assad gewaltsam niedergeschlagen. Der Iran und Russland unterstützen das Assad-Regime, das für brutale Menschenrechtsverbrechen international geächtet wird. Eine halbe Million Menschen wurden bereits getötet, 13 Millionen Menschen wurden vertrieben – mehr als die Hälfte von ihnen lebt außerhalb Syriens. Der Großteil syrischer Geflüchteter hat in Nachbarländern wie der Türkei (3,1 Millionen Menschen), dem Libanon (785.000 Menschen) und in Jordanien (640.000 Menschen) Zuflucht gefunden. Der Konflikt ist in den letzten Jahren zunehmend in Vergessenheit geraten.

Zweifach heimatvertrieben: Das Erdbeben 2023

Durch das heftige Erdbeben am 6. Februar 2023 hat sich die Lage im Nordwesten des Landes  dramatisch verschlechtert. Mehr als 56.000 Menschen starben in Syrien und der Türkei, über zwei Millionen Menschen wurden über Nacht obdachlos. Insgesamt waren mehr als 22 Millionen Menschen betroffen, davon allein 9 Millionen in Syrien. 

Bis heute fehlt es an Grundversorgung, Unterkünften, Strom und Zugang zu Gesundheitsversorgung. Die meisten betroffenen Familien leben noch immer in zerstörten Häusern oder in Zelten. Die Katastrophe hat auch die psychische Gesundheit vieler Menschen stark beeinträchtigt. Viele haben Familienangehörige und Freund:innen verloren. Die ohnehin prekäre humanitäre Situation hat sich weiter verschärft: Mehr als 15 Millionen Menschen in Syrien, darunter 7 Millionen Kinder, sind dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das sind fünf Prozent mehr als im Jahr 2022. Gleichzeitig fehlt es massiv an humanitärer Hilfe und Finanzierung, während Assad versucht, durch Hilfslieferungen wieder das Ansehen seines Regimes zu rehabilitieren und die internationale Isolation Syriens zu beenden – mit Erfolg. Wer mehr dazu wissen möchte, kann gerne in meinen Artikel von November reinschauen.

Die aktuelle europäische Syrien-Politik

Während die Arabische Liga und andere Staaten wie die Türkei ihre Beziehungen zu Syrien schrittweise normalisieren, basiert die europäische Syrienpolitik weiterhin auf Sanktionen gegen das Assad-Regime und direkter humanitärer Unterstützung für die syrische Zivilbevölkerung. Letztere wird beispielsweise durch Instrumente wie das Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI), den MADAD Fonds und die Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei zur Verfügung gestellt. Im Rahmen der Überarbeitung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR), also des langfristigen EU-Haushaltsplans bis 2027, hat die Kommission beispielsweise zusätzliche 5,2 Milliarden zur Unterstützung syrischer Geflüchteter in Syrien, der Türkei, Jordanien und dem Libanon vorgeschlagen. Darüber hinaus sind Ausnahmeregelungen für vertrauenswürdige internationale humanitäre Hilfsorganisationen notwendig, damit diese in Syrien schnell und effektiv helfen können. Wir setzen uns dafür ein, dass Sanktionen die Bereitstellung lebenswichtiger humanitärer Hilfe nicht behindern, sondern zielgerichtet die Eliten und Kriegsverbrecher treffen. Der wissenschaftliche Dienst des Europaparlaments hat die Auswirkungen der Sanktionen hier analysiert.

Außerdem haben wir im Außenausschuss einer Empfehlung an den Rat, die Kommission und den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD)  zur Lage in Syrien zugestimmt. Darin betonen wir noch einmal die schweren Menschenrechtsverbrechen des Assad-Regimes und die Pflicht der EU, von jeglicher Normalisierung mit ihm abzusehen, solange es keine tiefgreifenden und überprüfbaren Veränderungen durch die Umsetzung der Resolution 2254(2015) des UN-Sicherheitsrats gibt. Dazu gehören die Freilassung politischer Gefangener, Informationen über das Schicksal von Vermissten und Opfern von gewaltsamem Verschwindenlassen sowie die Beendigung aller Angriffe auf und Behinderungen von humanitärer Hilfe. Das ist insbesondere wichtig, weil immer noch im ganzen Land eine erhebliche Gefahr für Menschen besteht, wie vertrauliche Quellen aus dem Auswärtigen Amt nahelegen. Außerdem nehmen in letzter Zeit die Kampfhandlungen in Syrien wieder zu, weswegen die Vereinten Nationen einen Waffenstillstand anmahnen.

Weitere Vorschläge der UN-Resolution betreffen die verstärkte Bekämpfung russischer und iranischer Desinformation über Syrien, den Kampf gegen die anhaltende Straffreiheit in Syrien und eine stärkere Unterstützung der Zivilgesellschaft sowie der angestrebten Demokratisierungsprozesse.

Parlament kritisiert Gelder für tunesischen Autokraten

In einer Resolution des Europäischen Parlaments haben wir Abgeordneten die Freigabe von Geldern für die tunesische Regierung kritisiert. Meine Rede im Plenum dazu findet ihr hier.

Die Fraktionen der EVP und Renew Europe haben sich ebenso wie die ECR- und ID-Fraktion gegen die Behandlung der Resolution gewehrt. Der Antrag aus unserer Fraktion auf Behandlung hatte trotzdem Erfolg. Deutliche Kritik wurde beispielsweise daran geäußert, dass die Kommission Zahlungen an Tunesien in einem Dringlichkeitsentschluss Ende vergangenen Jahres beschlossen hatte, um damit Kontrollrechte des Europäischen Parlaments zu umgehen.

Die Resolution wurde recht deutlich angenommen (Ja: 243, Nein: 167, Enthaltung: 41). Wir als EU-Parlament betonen in der Resolution, dass die Einhaltung von Menschenrechten, demokratischer Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit die Bedingung für solche Geldzahlungen sein muss. Die tunesische Regierung hat 150 Millionen Euro fast ohne Bedingungen bekommen. Die Resolution kritisiert die Verwendung eines „dringenden schriftlichen Verfahrens“ für die Annahme der Maßnahme ohne vorherigen Kontakt zum Parlament. Dadurch wird das Parlament nicht beteiligt.

Zudem werden Bedenken hinsichtlich der Achtung der rechtlichen Grundprinzipien, insbesondere angesichts der Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Tunesien seit Juli 2021, geäußert. Das Parlament fordert die Kommission auf, detaillierte Informationen darüber bereitzustellen, wie und wann die Bedingungen für die Budgethilfe erfüllt werden und wie der Fortschritt objektiv bewertet wird. Darüber hinaus wird gefordert, dass die Kommission erklärt, warum die Unterstützung in einer einzigen Tranche ausgezahlt wird und wie diese Maßnahme zur Verbesserung des Geschäfts- und Investitionsklimas in Tunesien beitragen soll. Schließlich wird die Kommission aufgefordert, zu erklären, warum die tunesischen Behörden frühere EU-Budgethilfen abgelehnt haben und welche Garantien es gibt, dass das Europäische Parlament EU-finanzierte Projekte in Tunesien besuchen kann.

Die EU macht sich von Diktatoren erpressbar 

Wir erleben in Tunesien eine Aushöhlung von Demokratie und Grundrechten, gekrönt von rassistischen und antisemitischen Ausfällen von Präsident Kais Saied. Wir sind nicht gegen Verhandlungen mit Drittstaaten, auch nicht mit schwierigen Regimen oder Regierungen. Aber die unwürdige Geldkofferpolitik, die wir in den letzten Jahren erleben, trägt weder zur Bekämpfung von Fluchtursachen noch zur besseren Steuerung von Migration bei. Statt endlich die Herausforderungen anzunehmen, kopiert man einfache falsche Antworten von Rechtsaußenparteien und wundert sich dann, warum man jedes Jahr die gleichen Diskussionen zu Migration führt.

Nachdem Ursula von der Leyen, Giorgia Meloni und Marc Rutte letzten Sommer eine Vereinbarung mit Tunesien treffen wollten, haben die tunesischen Behörden Geflüchtete einfach ohne Wasser und Nahrung in der Wüste ausgesetzt, Dutzende sind schlicht verdurstet. Von den im Sommer noch angekündigten Bedingungen, wie Fortschritten bei der Demokratieförderung und der Wahrung von Menschenrechten, ist nun keine Rede mehr.

Das Migrationsabkommen mit Diktatoren keine langfristige Perspektive darstellen, haben wir schon beim EU-Türkei-Deal oder der Zusammenarbeit mit dem Niger gelernt. Saied hat sich nicht als verlässlicher Partner erwiesen und letztes Jahr sowohl EU-Abgeordneten und Kommissionsmitarbeitern Besuche verweigert. Die EU macht sich von Diktatoren erpressbar. Wenn es keine Kontrolle über die Verwendung von Gelder durch Diktatoren gibt, sollte es kein Geld geben. 

Die Migrationsbewegungen enden auch nicht, sie verlagern sich nur auf noch gefährlichere Routen. Dass Ursula von der Leyen für diesen Sonntag einen Besuch in Kairo für das nächste EU-Migrationsabkommen, erneut ohne vorherige Rücksprache mit dem Europäischen Parlament, angekündigt hat, zeigt, dass es hier vor allem um Wahlkampf und nicht um nachhaltige Lösungen geht.

Verheerender Frontex-Bericht: Untersuchungskommission zur Seenotrettung muss kommen

Nach dem Schiffsunglück von Pylos mit über 600 Toten vor der griechischen Küste leitete die Europäische Ombudsfrau Emily O’Reilly eine Untersuchung ein. Dabei konzentrierte sie sich mandatsbedingt auf die Rolle von Frontex.

Der nun von ihr vorgestellte Bericht zeigt, dass Frontex die eigenen europa- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht erfüllt. Das hängt beispielsweise damit zusammen, dass Frontex bei Seenotrettungsfällen zu stark von der Kooperation der Mitgliedstaaten abhängig ist, die Menschen in Seenot nicht immer retten.

Die Untersuchung identifiziert systemische Probleme und Mangel an einer unabhängigen Kontrolle der Einsätze. O’Reilly appelliert an das EU-Parlament, Rat und Kommission, eine öffentliche Untersuchungskommission einzurichten, um die Ursachen der Mittelmeer-Todesfälle aufzuklären und künftig zu verhindern.

Die Pressemitteilung der Bürgerbeauftragten ist hier zu finden.

Bürgerbeauftragte veröffentlicht verheerenden Bericht – “Untersuchungskommission zur Seenotrettung muss kommen”

Der Bericht ist erschreckend und das Urteil der Bürgerbeauftragten verheerend. Frontex kommt grundlegenden rechtlichen Verpflichtungen nicht nach. So wurden offenbar Seenotrettungsfälle durch Frontex gefunden, dann aber nicht die Schiffe im Umfeld darüber informiert. So auch bei dem Schiffsunglück von Pylos, bei der über 600 Menschen beim Untergang des Fischkutters Adriana gestorben sind, obwohl man viele Stunden lang von dem Seenotfall wusste. Solche Fälle dürfen sich nicht wiederholen.

Frontex bot zwar Hilfe bei der Adriana-Luftüberwachung an, erhielt jedoch keine Antwort von Griechenland. Die Untersuchung identifiziert systematische Probleme, weil immer wieder Seenotfälle ignoriert werden, wodurch es zu vielen vermeidbaren Toten kommt.

Acht Monate nach dem Unglück wurden allerdings immer noch keine Schritte eingeleitet, um zu verhindern, dass eine solche Katastrophe sich wiederholt. Auch auf Seiten der griechischen Behörden scheint es kein Interesse daran zu geben, ernstzunehmende rechtsstaatliche Untersuchungen durchzuführen. Unsere Außengrenzen dürfen nicht länger ein rechtsfreier Raum sein, indem man straflos Menschen ertrinken lassen kann.

Deswegen unterstütze ich die Forderung der Europäischen Bürgerbeauftragten Emily O’Reilly, eine öffentliche Untersuchungskommission einzurichten, um das tausendfache Sterben auf dem Mittelmeer aufzuarbeiten und in Zukunft zu verhindern.

Hintergrund zu der Untersuchung

Am 14. Juni 2023 sank das überfüllte Fischerboot Adriana vor der Küste von Pylos, Griechenland, wobei über 600 Menschen ertranken. Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, bezeichnete das Ereignis als eines der schlimmsten Schiffswracks dieses Jahrhunderts und forderte eine gründliche Untersuchung. 

Die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly leitete eine Untersuchung ein. Dabei konzentriert sie sich auf die Rolle von Frontex und dessen Interaktion mit den nationalen Behörden bei Seenotfällen. Die Untersuchung ergab, dass Frontex‘ Möglichkeiten zur Seenotrettung stark von den Mitgliedstaaten und ihren Maßnahmen in der Seenotrettung abhängig sind. Oft gibt es ein Wirrwarr an Zuständigkeiten, die es erleichtern, sich bei Rettungsmaßnahmen aus der Verantwortung zu ziehen und Menschen ertrinken zu lassen. 

Die Bürgerbeauftragte schlug vor, dass die Kommission, der Rat und das Parlament eine unabhängige Untersuchungskommission zur Bewertung der Situation und zum Schutz der Grundrechte bei Seenotfällen einrichten. 

Das Adriana-Unglück steht sinnbildlich für das Unterlassen von geeigneten Hilfsmaßnahmen, denn auch hier wurden trotz eindeutiger Zeichen für einen Seenotfall Schiffe nicht zur Rettung alarmiert. 

Auch wenn der Fall noch juristisch aufgearbeitet wird, ist klar, dass durch angemessene Seenotrettungsmaßnahmen über 600 Menschen noch am Leben sein könnten.

Hier ein Auszug aus den Empfehlungen der EU-Bürgerbeauftragen O’Reilly:

Unabhängigere operative Entscheidungen durch Frontex: Frontex bindet sich in operativen Entscheidungen zu stark an die Mitgliedstaaten. So mangelt es Frontex an der Fähigkeit, seinen Grundrechtsverpflichtungen nachzukommen. Möglicherweise muss eine Überarbeitung der operativen Pläne und Verfahren, um sicherzustellen, dass die Agentur besser auf Seenotfälle reagieren kann, selbst wenn nationale Behörden keine konkreten Anweisungen zur Rettung oder zum Melden von Rettungsfällen geben.

Reaktion auf Seenotfälle: Frontex muss die operativen Protokolle die Reaktion auf Seenotfälle überarbeiten, insbesondere im Hinblick auf die Ausgabe von Mayday-Relais – also die Meldung von Seenotfällen an umliegende Schiffe. Die Agentur sollte prüfen, ob ihre Kriterien für die Bewertung von Seenotfällen und die Entscheidung zur Ausgabe von Mayday-Relais ausreichend sind, um die besonderen Umstände von Booten zu berücksichtigen und den Tod auf See zu verhindern.

Umgang mit Informationen von Dritten: Frontex sollte seine Praktiken zur Bewertung und Integration von Informationen, die von Nichtregierungsorganisationen und anderen inoffiziellen Quellen bereitgestellt werden, verbessern. Insbesondere sollten gemeldete Gefahren für Kinder oberste Priorität haben.

Beziehung zu nationalen Behörden: Die Untersuchung unterstreicht die Notwendigkeit für Frontex, seine Beziehungen zu den nationalen Behörden zu überdenken, insbesondere in Fällen, in denen Zweifel an der Einhaltung der Grundrechte durch einen Mitgliedstaat bestehen. Frontex sollte bereit sein, seine Aktivitäten mit einem Mitgliedstaat einzustellen, zurückzuziehen oder auszusetzen, wenn der Schwellenwert für ernsthafte Grundrechtsverletzungen erreicht wurde. Hier wird explizit Bezug auf Griechenland genommen.

Rechtsrahmen für Such- und Rettungsaktionen verbessern: Es besteht Bedarf an einem klaren EU-Rechtsrahmen für Such- und Rettungsmaßnahmen, der die Rollen und Verantwortlichkeiten von Frontex und den Mitgliedstaaten klar definiert und die Agentur in die Lage versetzt, ihren Grundrechteverpflichtungen effektiver nachzukommen. Das Seerecht wurde in einer Zeit geschaffen, in der man sich nicht vorstellen konnte, dass sich Staaten weigern, Menschen aus Seenot zu retten. Da diese Zeiten sich leider geändert haben, sollte man den Rechtsrahmen europäisch überarbeiten.

Diese Vorschläge zielen darauf ab, Frontex‘ Einsätze zur Rettung von Menschenleben zu verbessern und sicherzustellen, dass die Grund- und Menschenrechtseverpflichtungen im Rahmen der Such- und Rettungseinsätze zukünftig eingehalten werden.

Reform der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis

Beim abschließenden Trilog über die Neufassung der Richtlinie über die kombinierte Aufenthaltserlaubnis (Single Permit Directive) wurde im Januar eine Einigung erzielt

Worum geht es in der Richtlinie?

Jedes Jahr kommen etwa 3 bis 3,5 Millionen Drittstaatsangehörige in die EU, hauptsächlich aus beruflichen Gründen. Sie arbeiten in den EU-Ländern, zahlen Steuern und tragen durch ihre Mobilität dazu bei, dass Unternehmen dringend benötigte Arbeitskräfte finden. Die Richtlinie über die kombinierte Aufenthaltserlaubnis ermöglicht diesen Menschen ein vereinfachtes Antragsverfahren und stellt sicher, dass ein:e Bewerber:in nur eine Erlaubnis benötigt, die sowohl zum Arbeiten als auch zum Aufenthalt in der EU berechtigt. Sie gibt vielen Nicht-EU-Bürger:innen, die in der EU arbeiten, das Recht, in vielerlei Hinsicht wie EU-Bürger:innen behandelt zu werden. Das gilt insbesondere in Bezug auf faire Arbeitsbedingungen, soziale Sicherheit, Anerkennung von Qualifikationen und steuerliche Vergünstigungen. 

Geschichte der Single Permit Directive

Die Richtlinie ist seit 2011 in Kraft; Ziel der Überarbeitung war es nun, das Verfahren für den Erhalt einer kombinierten Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zu vereinfachen und den Mitgliedstaaten die Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittstaaten zu erleichtern. Damit soll dem Fachkräftemangel in der EU entgegengewirkt werden. Darüber hinaus stellt die Arbeitsmigration eine legale Alternative dar, die es Schutzsuchenden ermöglichen kann, gefährliche irreguläre Fluchtrouten zu vermeiden. Damit diese nach ihrer Ankunft geschützt sind, sehen die aktualisierten Vorschriften auch verstärkten Schutz vor Ausbeutung und Ungleichbehandlung in den Mitgliedstaaten vor.  Arbeitnehmer:innen aus Drittstaaten erhalten durch die Neufassung ein einheitliches Paket an Rechten in Bezug auf ihre Arbeitsbedingungen, ihre soziale Absicherung und die Anerkennung ihrer Qualifikationen erhalten. Im Gegenzug müssen sie die jeweiligen Regelungen einhalten, andernfalls kann ihnen die kombinierte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis entzogen werden.

Was uns Grünen wichtig war

Uns Grünen war es in den Verhandlungen wichtig, bürokratische Hürden abzubauen und mehr Menschen den Zugang zu einer kombinierten Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zu ermöglichen. Darüber hinaus wollten wir einen besseren Schutz vor Ausbeutung bei der Arbeitsaufnahme in den Mitgliedstaaten, z.B. durch eine Informationspflicht und die Einführung eines Rechts auf Arbeitgeberwechsel sowie ein gestärktes Recht auf Gleichbehandlung. Im folgenden erläutere ich euch einige unserer Hauptanliegen.

Weniger bürokratische Hürden

Diese Ziele konnten wir teilweise verwirklichen, denn der vereinbarte Text enthält einige Verbesserungen im Vergleich zu den vorherigen Vorschriften. Beispielsweise wurde eine Maximalfrist von 90 Tagen für die Entscheidung über Anträge auf eine kombinierte Erlaubnis festgelegt, im Vergleich zu den derzeitigen vier Monaten. Verfahren für besonders komplexe Fälle können um 30 Tage verlängert werden. Allerdings hätten wir uns sehr gewünscht, dass in diese Fristen die potenziell langfristigen Bearbeitungszeiten für die Personen, die ein Visum benötigen, mit einbezogen worden wären. Zudem wollten wir beschleunigte Verfahren für Antragsteller:innen, die bereits eine Genehmigung in einem anderen Mitgliedstaat besitzen oder an EU-Talentpartnerschaften teilgenommen haben; die Mitgliedstaaten werden nun lediglich durch Erwägungsgründe ermutigt, solche Anträge zu beschleunigen.

Wechsel des:der Arbeitgeber:in

Ganz besonders wichtig war uns auch die Möglichkeit, den oder die Arbeitgeber:in sowie Beruf und Arbeitsbereich wechseln zu können. Wir konnten in den Verhandlungen sicherstellen, dass eine einfache Mitteilung des neuen Arbeitgebers für einen solchen Wechsel ausreicht. Allerdings haben die nationalen Behörden trotzdem 45 Tage Zeit, den Wechsel abzulehnen. Zudem können Mitgliedstaaten einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten vorschreiben, in dem ein Wechsel nicht möglich ist. Eine Ausnahme bilden ernsthafte Verstöße gegen den Arbeitsvertrag, einschließlich besonders ausbeuterischer Arbeitsbedingungen, durch den oder die Arbeitgeber:in. Die Bestimmungen gehen damit leider nicht so weit, wie wir es uns gewünscht hätten.

Schutz auch bei Arbeitslosigkeit

Personen, die ihren Job verlieren, haben künftig bis zu drei Monate Zeit – bzw. sechs, wenn die Person ihre Arbeitserlaubnis seit mehr als zwei Jahren besitzt – um einen anderen Arbeitsplatz zu finden, bevor ihnen die Erlaubnis entzogen wird. Das sind zwei – bzw. vier – Monate länger, als es bisher der Fall war. Wenn ein:e Arbeitnehmer:in besonders ausbeuterischen Arbeitsbedingungen ausgesetzt war, verlängern die Mitgliedstaaten die erlaubte Dauer der Arbeitslosigkeit um drei Monate, während die kombinierte Erlaubnis gültig bleibt. Bei einer Arbeitslosigkeit von mehr als drei Monaten können die Mitgliedstaaten von dem oder der Inhaber:in der kombinierten Erlaubnis den Nachweis verlangen, dass er:sie über ausreichende Mittel verfügt, um seinen:ihren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu bestreiten. Mitgliedstaaten sind zudem durch einen neuen Artikel dazu verpflichtet, Verletzungen der Arbeitnehmerrechte zu überwachen und zu sanktionieren, insbesondere in Sektoren, bei denen ein grundsätzlich hohes Risiko von Verletzungen der Arbeitnehmerrechte besteht.

Was nun?

Die neuen Bestimmungen sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber wir müssen uns weiterhin dafür einsetzen, dass Hindernisse für die Arbeitsmigration abgebaut und Schutzmöglichkeiten geschaffen werden. Dazu gehört zum Beispiel unser Wunsch, dass die Einschränkungen des Rechts auf Gleichbehandlung im Wohnungswesen nur für öffentlichen Wohnraum – und nicht für privaten Wohnraum gelten. Diesmal konnten wir nur eine Ausnahme für Privatwohnungen durchsetzen.Grundsätzlich gilt es außerdem, angesichts der zunehmend restriktiven Migrationspolitik der EU, die auf Abschottung und Externalisierung setzt, legale Migrationswege wie die Arbeitsmigration zu fördern.

Studie: Beyond borders, beyond boundaries

Meine niederländische Kollegin Tineke Strik und Ich haben für die grüne Europafraktion eine kritische Analyse der finanziellen Unterstützung der EU für Grenzregime in Tunesien und Libyen in Auftrag gegeben.

Die gesamte Studie findet ihr hier auf Deutsch, Englisch und Französisch.

Eine zweiseitige Zusammenfassung gibt es auf Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch und Arabisch.

Klare Versäumnisse der Kommission 

Bei den von der Europäischen Kommission und den Mitgliedsstaaten mitfinanzierten Grenzschutzmaßnahmen kommt es regelmäßig zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Dazu gehören der Einsatz von physischer Gewalt oder absichtlichen Kollisionen durch die tunesische Küstenwache bzw. das Abfangen und Freiheitsentzug von Migrant*innen, Versklavung, Zwangsarbeit, Inhaftierung, Erpressung und Schmuggel durch die libysche Küstenwache. 

Es handelt sich dabei um enorme Summen, jeweils über 70 Mio € für Libyen und Tunesien für die Zeiträume von 2018 -2022, eine detaillierte Übersicht findet sich im ersten Kapitel der Studie.

Bei der Zuweisung von Mitteln wird das Risiko von Menschenrechtsverstößen nicht hinreichend beachtet, trotz entsprechender Bestimmungen u.a. in der Verordnung des NDICI, worüber die meisten Maßnahmen seit 2021 finanziert werden. Auch während der Projektlaufzeit ist unklar, wie die Projekte überwacht werden, da die Europäische Kommission unter Berufung auf Vertraulichkeit keine Dokumente zur Verfügung stellt.

Nächste Schritte

Gelder sollten nur dann ausgezahlt werden, wenn sichergestellt werden kann, dass damit keine Maßnahmen unterstützt werden, die mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen. Eine menschenrechtliche Folgenabschätzung muss nicht lediglich am Anfang des Projekts durchgeführt werden, auch während der Laufzeit müssen Programme überprüft und ggf. angepasst oder unterbrochen werden. Dafür ist es wichtig, dass dem Europäischen Parlament ausreichend Dokumente zur Verfügung gestellt werden. Auch der Zivilgesellschaft kommt dabei eine wichtige Rolle zu, es ist wichtig, dass zivilgesellschaftliche Organisationen bei Finanzierungsentscheidungen mit konsultiert werden.

Weiterführende Informationen

Um die Studie vorzustellen, haben wir am gleichen Tag in einer Veranstaltung mit Seawatch, den Autorinnen der Studie und DG NEAR besonders die menschenrechtlichen Aspekte diskutiert, auf Anfrage kann eine Aufzeichnung der Veranstaltung zur Verfügung gestellt werden.

Ihr könnt die Zusammenfassung (EN/DE/FR/IT/AR) und die gesamte Studie (DE/EN/FR) hier herunterladen. Die SZ hat ebenfalls berichtet.

Veranstaltung: Jenseits der Mauern: Wie die EU-Asylpolitik Menschen außerhalb Europas entrechtet

Liebe alle,

am 22. Februar um 19 Uhr findet meine Veranstaltung zur Auslagerung von EU-Asylpolitik statt. Der Fokus wird auf der Externalisierung (Auslagerung) der Verantwortung in Drittstaaten und dem Alltag an Europas Grenzen liegen:

Menschen werden in der Wüste ausgesetzt, EU-finanzierte Milizen schießen auf Rettungsboote, Seenot-Überlebende werden auf Sklavenmärkten verkauft: Die Liste der Horrormeldungen zum Umgang mit Geflüchteten in Europas Nachbarländern ließe sich endlos fortsetzen. Und auch innerhalb Europas erleben wir eine zunehmende Entrechtung von Schutzsuchenden – beispielsweise durch die Reform des GEAS. Immer stärker versucht man, den Zugang zu Asyl in Europa zu beschränken, immer offensichtlicher werden dabei grundlegende Menschenrechte missachtet.

Wie ist die Lage in Europas Nachbarstaaten? Wer ist verantwortlich für diese unmenschliche Politik? Warum lagern EU-Regierungen die Asylpolitik immer weiter aus? Und was können wir dagegen tun? Auf diese und weitere Fragen wollen wir während der Veranstaltung eingehen und dann gemeinsam mit dem Publikum diskutieren.

Als ReferentInnen konnten wir die Journalistin Franziska Grillmeier und den Fotografen Vincent Haiges gewinnen, die über die Situation für geflüchtete Menschen an verschiedenen Grenzorten, Einschränkung von Berichterstattung und Fluchtwegen außerhalb Europas an Beispielen und Fotos berichten.

Außerdem werde ich – Erik Marquardt – danach von der Externalisierungspolitik der EU, der Rolle des Parlaments und den politischen Hintergründen berichten. Außerdem werde ich in diesem Kontext auch Ergebnisse unserer Studie vorstellen: „Beyond borders, beyond boundaries – Grenzüberschreitungen hinter den Außengrenzen“. Die Studie beleuchtet die finanzielle Unterstützung der EU für Grenzregime in Tunesien und Libyen. Falls du Lust hast, kannst du gerne hier schon mal einen Blick reinwerfen.

zu den ReferentInnen: 

Franziska Grillmeier ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Flucht und Migration. Dafür reiste sie mit Vincent Haiges in Länder wie Bulgarien, Niger, Bosnien und Herzegowina. Die vergangenen fünf Jahre verbrachte sie auf der Insel Lesbos in Griechenland. Dort berichtete sie u.a. für ZEIT Online, taz, BBC, WDR und die Wochenzeitung. Ihr Buch “Die Insel. Ein Bericht vom Ausnahmezustand an den Rändern Europas” erschien 2023 bei C.H.Beck.

Vincent Haiges berichtet als freier Dokumentarfotograf international über Konflikte und Menschenrechtsverletzungen. Unter anderem aus der Ukraine, Afghanistan und dem Irak für Die Zeit, The Guardian, Foreign Policy, NZZ, Republik. Außerdem arbeitet er an einem Langzeitprojekt zur Gewalt an den europäischen Außengrenzen.

Erik Marquardt ist seit 2019 Abgeordneter im Europäischen Parlament. Dort beschäftigt er sich mit Asyl, Migration und Menschenrechten. Er war selbst oft an den Außengrenzen und auf Seenotrettungsmissionen im Mittelmeer. Im Parlament begleitete er beispielsweise die Verhandlungen zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) als Schattenberichterstatter.

Für Getränke und Snacks ist gesorgt.

Ort der Veranstaltung: 

aquarium Südblock – narrativ e.V.
Skalitzer Str. 6
10999 Berlin

Datum und Uhrzeit: 

22.02.2024 

19:00 – 20:30 Uhr 

Anmeldung für vor Ort Teilnahme: 

Leider haben wir unsere maximale Kapazität für Gäste vor Ort erreicht. Falls ihr trotzdem dabei sein möchtet, gibt es noch die Möglichkeit über unseren Stream online zuzuhören.

ACHTUNG! Nach der Anmeldung gibt es KEINE Bestätigungsmail. Die Anmeldung kommt trotzdem bei uns an. Am Tag vor der Veranstaltung bekommt ihr nochmal eine Erinnerungsmail mit allen Details zugesendet. 

Anmeldung für Online Teilnahme

Für alle Menschen, die nicht vor Ort teilnehmen können, wird es eine Möglichkeit geben, über einen Live-Stream zuzuhören. Bitte meldet euch über das hier hinterlegte Formular an. Link für den Stream werdet ihr vor Veranstaltungsbeginn per Mail erhalten.

https://us02web.zoom.us/meeting/register/tZwucOqoqD8vHNSISnV-7io08q7M1V-IFFUl

Liebe Grüße,

Erik

Disclaimer: Auf der Veranstaltung werden Film- und Tonaufnahmen sowie Fotos gemacht, mit deren auch späteren Verwendung Sie sich durch den Besuch der Veranstaltung einverstanden erklären.

GEAS: Kein guter Tag für das Europäische Asylrecht

Rat und Parlament haben sich auf eine Reform hin zu einem gemeinsamen europäischen Asylsystem geeinigt. Hier findet ihr eine Kurzübersicht zu zentralen Ergebnissen der Verhandlungen des GEAS-Pakets.

In fast allen relevanten Punkten hat sich der Rat mit seiner Position gegenüber dem Parlament durchgesetzt. Mit dieser Reform wurde so die Chance verpasst, die EU-Asylpolitik auf das richtige Gleis zu setzen. Stattdessen sollen bürokratische Verfahren und harte Asylrechtsverschärfungen Menschen jetzt plötzlich von der Flucht nach Europa abschrecken. Dieser Weg ist bereits in den letzten Jahren gescheitert. Uns droht nun mehr irreguläre Migration und eine Desintegrationskultur gegenüber Schutzsuchenden. Diese Abschreckungspolitik schwächt den Rechtspopulismus ja offensichtlich nicht, sondern stärkt ihn. 

Haftähnliche Bedingungen

Es wird ein System geschaffen, in dem sehr viele Menschen während ihrer Asylverfahren in haftähnlichen Bedingungen eingesperrt werden sollen, viel zusätzliche Bürokratie entsteht und deutlich längere Asylverfahren drohen. Der neue Solidaritätsmechanismus wird das dadurch entstehende zusätzliche Chaos und Leid nicht aufwiegen können.


Viele wichtige Details stehen schlicht noch nicht fest. Es fehlte die Zeit, alle Artikel zu verhandeln. Aufgrund der politischen Vorgabe, bis Ende des Jahres ein Ergebnis zu erlangen, wurde der Inhalt dem Ziel einer schnellen Einigung untergeordnet. So sollte Gesetzgebung nicht stattfinden.


Besonders in der polarisierten Diskussion um die Asylpolitik hätte Europa verdient, dass Rat und Parlament sich ausgeruht beraten und nicht übermüdet in Nachtsitzungen Stichpunkte beschließen, die viele Fragen offen lassen.

Spielräume für Verbesserungen


Parlament und Rat müssen noch über die Rechtsakte abstimmen. Wir werden uns dann für eine möglichst vernünftige Umsetzung der Rechtsakte einsetzen. Außerdem gilt es nun umso mehr, Spielräume für Verbesserungen abseits der aktuellen Reform zu nutzen, denn sie enthält viele Lücken. 

Fragen der Integration, der Zusammenarbeit mit Drittstaaten oder der Arbeitsmigration spielen in der aktuellen Asylreform keine Rolle. Wir werden  weiter für verbindliche Verteilung, bessere Standards an den Außengrenzen und effizientiere Asylverfahren streiten. Nur so wird eine faire Verteilung der Verantwortung für die großen Herausforderungen der Asyl- und Migrationspolitik gelingen. Zudem gilt, dass Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention weiterhin auch in Europa gelten. Für einen Abgesang auf das Asylrecht ist es heute zu früh, auch wenn das kein guter Tag für das Asylrecht ist.

Humanitäre Hilfe für Syrien

Seit 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg, fast drei Viertel der Bevölkerung sind in der Folge auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Lage hat sich in diesem Jahr nach dem verheerenden Erdbeben im Februar, von dem knapp 8,8 Millionen Menschen betroffen waren, noch weiter verschlechtert. Auch der Konflikt dauert an. Erst im Oktober hat die syrische Regierung erneut Luftangriffe gegen Idlib und West-Aleppo verübt, die zu 50 Toten und über 70.000 Vertreibungen geführt und erhebliche Infrastrukturschäden verursacht haben.  Die Europäische Kommission stellt über DG ECHO relevante Summen für humanitäre Hilfe in Syrien bereit. Allerdings gibt es immer wieder Zweifel daran, ob die Hilfslieferungen tatsächlich bei den Menschen ankommen, die sie am dringendsten benötigen oder vielmehr Assad und seinen Truppen in die Hände spielen und welche Rolle Sanktionen dabei spielen.

Weltweit höchste Anzahl an Geflüchteten

Der Bürgerkrieg in Syrien hat zu einer der größten Fluchtbewegungen weltweit geführt: 6,8 Mio Syrer:innen haben das Land verlassen, meist in die Nachbarstaaten. Weitere 6,7 Mio sind in den vergangenen zwölf Jahren Bürgerkrieg innerhalb des Landes vertrieben worden. Die Hälfte der syrischen Bevölkerung befindet sich also auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung, eine sichere Rückkehr ist weiterhin nicht denkbar. Der Anteil der Syrer:innen an der globalen Anzahl Geflüchteter beträgt 20%.

Humanitäre Situation

Am 14. und 15. Juni 2023 hat die 7. Brüsseler Konferenz zur Unterstützung Syriens und der Region stattgefunden. An dieser haben neben der UN die EU-Institutionen, 57 Länder und über 30 internationale Organisationen teilgenommen. Insgesamt wurden dabei 4,6 Milliarden € für 2023 und weine weitere Milliarde € für 2024 zugesagt. Die Konferenz ist die wichtigste Geberkonferenz für Syrien und die Region. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind seit Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 mit fast 30 Mrd. € die größten Geber für Syrien und die Region.

9 von 10 Syrer:innen leben in Armut, 12,4 Millionen Menschen sind von Nahrungsmittelinstabilität betroffen. Menschen können sich selbst Grundnahrungsmittel kaum noch leisten, weil in den letzten zwei Jahren die Preise um 800% angestiegen sind. Der Norden Syriens leidet zudem unter massivem Trinkwassermangel und -verunreinigung. Dafür gibt es vielfältige Gründe. So haben durch den Klimawandel begünstigte Dürren zu historischen Wassertiefständen des Euphrat und anderer Flüsse geführt und Brunnen sind ausgetrocknet. Außerdem behindern teilweise bewaffnete Truppen den Zugang zu Quellen. Schlechtes Abwassermanagement führt zu Trinkwasserverschmutzung und Choleraausbrüchen

Grenzübergänge in Nordwest-Syrien

Ein grundlegendes Problem in Syrien ist der Zugang zu den Regionen, die nicht unter der Kontrolle des Assad-Regimes stehen, insbesondere im Norden des Landes. Durch ein Abkommen mit der syrischen Regierung konnten im September diesen Jahres Hilfslieferungen für den Nordwesten Syriens über den Grenzübergang Bab al-Hawa wieder aufgenommen werden. Zuvor hatte Russland die Verlängerung der Öffnung des Grenzposten zur Türkei am 11. Juli 2023 mit einem Veto im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockiert. Der Grenzposten wurde 2014 durch den Sicherheitsrat etabliert und muss seitdem alle 6 Monate verlängert werden. In dem von Rebellen beherrschten Gebiet sind 90% der 4,5 Millionen Einwohner:innen auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Daher ist der Übergang essentiell für die Versorgung der Bevölkerung im Nordwesten Syriens, unter anderem mit Nahrung und Medikamenten. Neben dem Grenzübergang Bab al-Hawa wurden auch die Öffnungen der Übergänge in Bab al-Salam and Al-Ra’ee, welche in Folge des Erdbebens im Februar erneut genutzt werden konnten, verlängert. Über die letzteren gelangen jedoch nur etwa 20 % der Hilfskonvois in die Region. Assads Verbündeter Russland versucht über die wiederholten Blockaden im Sicherheitsrat Druck auf die Rebellengebiete auszuüben und Assads Einfluss zu vergrößern. Die EU hat sich zu diesem Vorgehen in der Vergangenheit zu Recht kritisch geäußert,  da es die Bereitstellung humanitärer Hilfe für die vielen bedürftigen Menschen massiv einschränkt.

Annäherung von Erdogan und Arabischer Liga an Assad

Die Türkei und Syrien nähern sich seit dem Winter 2022 langsam wieder an. Gleichzeitig setzt die Türkei Luftangriffe auf kurdische Ziele im Norden Syriens fort, wobei auch die zivile Infrastruktur zerstört wird. Eine schnelle Normalisierung der Beziehungen gilt als eher unwahrscheinlich, da die zentralen Zielsetzungen nicht miteinander vereinbar erscheinen. Die Türkei bzw. Erdogan möchte, dass mehr syrische Geflüchtete nach Syrien zurückkehren, Assad verwehrt sich dem. Er möchte möglichst alle noch von Rebellen gehaltenen Gebiete zurückerobern, wohingegen die Türkei ihren Einfluss im Norden Syriens nicht verlieren will und bei einer Regime-Offensive neue Migrationsbewegungen befürchtet. 

Vor kurzem wurde Assad nach zwölf Jahren wieder in die Arabische Liga aufgenommen und hat im Mai an deren Gipfeltreffen in Saudi-Arabien teilgenommen. Die Mitgliedstaaten der Arabischen Liga erhoffen sich von der Wiederaufnahme eine größere Stabilität in der Region. Gleichzeitig ist davon die Rede, dass Assads Wiederaufnahme an Bedingungen geknüpft sei, die jedoch nicht öffentlich sind. Aus informellen Kreisen ist zu hören, dass Assad Investitionen der arabischen Staaten in den Wiederaufbau Syriens versprochen wurden, wenn er im Gegenzug viele der geflüchteten Syrer:innen wieder in Syrien leben lasse, einen Versöhnungsprozess einleite und die Produktion der Droge  “Captagon” einstelle. Dagegen hatte auch die EU im April 2023 Sanktionsmaßnahmen verhängt. Im Gegensatz zu anderen Staatenbunden sieht die EU keine ausreichenden Beweggründe für eine Normalisierung der Beziehungen mit Syrien. Das heißt auch, dass die Entwicklungszusammenarbeit weiterhin ausgesetzt ist.

Missbrauch Humanitärer Hilfe in Syrien

Der Großteil der Gelder, die die EU für Syrien bereitstellt, fließt direkt an UN-Organisationen, die vor Ort tätig sind. Nach dem verheerenden Erdbeben von Anfang Februar gab es erstmals Informationen, dass die UN möglicherweise ein Büro in dem von Rebellen gehaltenen Nordwesten Syriens eröffnen könnten, dies ist bislang jedoch nicht passiert. Stattdessen wird die Hilfe bisher über Büros in Gebieten unter Kontrolle des syrischen Regimes oder in der Türkei koordiniert. In der Vergangenheit gab es immer wieder Vorwürfe, dass das Assad-Regime UN-Organisationen vorschreibt, wo Hilfe geleistet werden darf, unter Androhung sonst Visa zu entziehen. Vorwürfe gegenüber den Vereinten Nationen gab es auch im Februar, als die Hilfe für die am stärksten vom Erdbeben betroffenen Gebiete nur sehr langsam anlief und die Bevölkerung tagelang auf sich gestellt war. Assad und sein Regime hatten wiederholt den Zugang zu Rebellengebieten verhindert, um die Bevölkerung auszuhungern und die Rebellen zur Aufgabe zu zwingen.

Assad kontrolliert Hilfe

Assad und Putin haben seit dem Erdbeben immer wieder internationale Sanktionen als Haupthindernis für humanitäre Hilfe dargestellt, dabei ist diese explizit von sämtlichen Sanktionsregimes ausgenommen. Nach einer  umfassenden Studie von Natasha Hall, hat das Assad-Regime die Hilfsstrukturen so aufgebaut, dass sie unter seiner alleinigen Kontrolle stehen. Nahezu alle internationalen Organisationen und Hilfseinrichtungen müssen unter Aufsicht des “Syrischen Arabischen Roten Halbmondes” und der “Syria Trust for Development” stehen. Das Regime kann somit flächendeckend Hilfsorganisationen und den Fluss von Hilfsgütern kontrollieren und zweckentfremden. Darüber hinaus missbraucht das Regime immer wieder den Wechselkursmechanismus und verändert ihn so, dass es sich große Teile finanzieller Hilfe in die eigene Tasche stecken oder loyalen Unterstützer:innen zuweisen kann.

Handlungsempfehlungen Humanitäre Hilfe in Syrien

Ein großer Teil der Menschen in Syrien ist auf Unterstützung über humanitäre Hilfe angewiesen. Hilfsgüter und finanzielle Hilfen dürfen jedoch nicht mit Vertragspartnern nach Syrien gebracht oder in Syrien verteilt werden, die bisher schon an Zweckentfremdungen beteiligt waren oder unter direkter Kontrolle des Assad-Regimes stehen. Darüber hinaus müsste die Zivilgesellschaft stärker in den Prozess der Allokation von humanitärer Hilfe eingebunden werden. Unabhängige und lokale zivilgesellschaftliche Organisationen müssen in größerem Umfang finanziell und technisch unterstützt werden. Der Einbezug von Refugee-led-organisations (RLOs) kann dazu einen großen Beitrag leisten. 

Hilfe an Bedingungen knüpfen

Auch “early recovery”, also, humanitäre Hilfe, die auch auf längerfristige Strategien setzt, um die Situation vor Ort zu verbessern, ist ein sinnvoller Ansatz in einem langjährigen Konflikt. Jedoch ist wichtig, dass dies mit strikten Bedingungen verknüpft ist. Dazu gehören ein prinzipienfester und konfliktsensibler Ansatz, fortlaufende, unabhängige Kontrolle und Rechenschaftspflicht, lokale Eigenverantwortung und ein „Gesamt-Syrien-Ansatz“.

Um Situationen wie im Geflüchtetenlager Rukban (Nord-West Syrien, Provinz Daraa) zu begegnen, wo tausende Syrer:innen seit Jahren ohne Zugang zu medizinischer Versorgung und humanitärer Hilfe in der Wüste an der jordanischen Grenze ausharren, muss Hilfe dauerhaft, ohne Zustimmung des Regimes oder UN-Mandat und ohne Unsicherheit über die Öffnung von Grenzübergängen geleistet werden können. Auch dafür muss sich die EU mit allen diplomatischen Mitteln einsetzen.

Frontex zeigt kein Interesse an Crotone-Aufklärung

Aus gemeinsamen Recherchen von Lighthouse Reports, El País, Sky News, Le Monde, Süddeutsche Zeitung und Domani geht hervor, dass die italienische Regierung gelogen hat, was ihre Rolle bei dem Bootsunglück von Crotone betrifft, bei dem 94 Menschen, darunter 35 Kinder, ums Leben kamen, und dass Frontex geholfen hat, den Vorfall zu vertuschen. Ich habe mit 25 Abgeordneten aus vier Fraktionen eine Anfrage an die Kommission gesendet, welche am 3. August beantwortet wurde.

Kein Interesse an Aufklärung

Nun hat auch Frontex auf unsere Frage geantwortet. Konkret haben wir gefragt:

Wie bewertet Frontex die Enthüllungen, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass sie nicht mit den vor dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres abgegebenen Erklärungen ihres Exekutivdirektors Hans Leijtens vom 23. Mai 2023 im Einklang stehen?

Aus der Antwort von Frontex geht leider kein großes Interesse an einer Aufarbeitung aus. Der Exekutivdirektor behauptet lediglich, das Schiff habe sich in keiner Notsituation befunden, als es sechs stunden vor dem Vorfall von Frontex gesichtet wurde. Außerdem behauptet er, Frontex habe die italienischen Behörden korrekt informiert.

Auch der Presse werden Informationen vorenthalten

Frontex weigert sich zudem der Presse relevante Informationen über den Fall zu geben. So hat die Agentur bislang nur eine E-Mail veröffentlicht, die direkt nach dem Unglück versendet wurde. Dutzende weitere Dokumente bleiben unter Verschluss. Frontex begründet dies damit, dass es sich um wichtige Informationen zu laufenden Operationen handele. Außerdem behauptet die Agentur die Informationen könnten von Schleppern genutzt werden. Diese Argumente sind wenig überzeugend, weil Schlepper sich nicht primär danach richten, wo sich Frontex geade aufhält. Die Aufklärung des Unglücks, dass zu so vielen Toen führte, sollte hier Vorrang haben.

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